freiheit

Die Freiheit, die sie haben, die ist hier drinnen gar nicht mehr…Die ist weg. Die hat man nicht. Die ist einem gar nicht mehr bewusst.

 

Theaterreportage Freigänger von Anna Pabst

von Anouk Rebstock

 

Freiheit

 

Dieses Zitat stammt aus der Theaterreportage Freigänger von Anna Pabst. In Freigänger teilen Gefangene, entlassene Häftlinge, Angehörige, Mitarbeitende aus dem Strafvollzugssystem und ein forensischer Psychiater in authentischen Interviewsituationen ihre Geschichte: der Weg in die Gefangenschaft, der Alltag im Gefängnis sowie die Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft. Der Großteil der Interviewten lebt im Moment in Witzwil. Es ist der größte Landwirtschaftsbetrieb in der Schweiz, der durch 166 erwachsene Gefangene und 140 Angestellte bewirtschaftet wird und gleichzeitig eine offene Strafvollzugsanstalt ist. Offen bedeutet, dass sich die meisten Gefangenen auf dem Gelände tagsüber selbständig bewegen können und nur nachts die Zeit in ihrer Zelle verbringen müssen. In der Einführung zu Freigänger heißt es: „Offene Strafvollzugsanstalten wie Witzwil stehen auf der Grenze zwischen Gefängnis und Freiheit.“

 

In welchen Situationen wirst du dir deinem Grundbedürfnis nach Freiheit besonders bewusst?


Wann wird euch Freiheit bewusst?

 

Beispielsweise, wenn wir uns auf Reisen begeben und in völligem Erstaunen Unbekanntem begegnen, wenn man seine Meinung frei äußern darf, anzieht, was einem gefällt; liebt, wen man will; das isst, worauf man Lust hat; nein sagt, wann man möchte; oder eben: wenn wir genau diese Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit nicht verspüren und dann so die Abwesenheit von Freiheit in den Vordergrund tritt. Im Gefängnis zeigt sich dies insbesondere durch die eingeschränkte Handlungsfreiheit und geistige Unfreiheit, was die Gefangenschaft unvermeidlich mit sich bringt. Offene Strafvollzugsanstalten nehmen hierbei eine gesonderte Rolle ein. Die beschränkte Offenheit sorgt bei den Gefangenen dafür, dass sie zumindest bis zu einem gewissen Ausmaß ihren Alltag unabhängig gestalten können und nur wenigen als Last empfundenen Verpflichtungen nachkommen müssen. Ungeachtet dessen werden sich Gefangene andererseits in sogenannter Halbfreiheit immer wieder ihrer eingeschränkten Autonomie bewusst; und das nicht grundlos. Die Freiheit für einen Menschen kann nur dann bestehen, wenn die Freiheit der anderen auch garantiert ist. Niemand darf seine Freiheit so ausleben, dass Mitmenschen verletzt werden, indem sie ihrer eigenen Freiheit beraubt werden. Artikel 2 Im Grundgesetz begründet dies mit den Worten:

 

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

 

Jean-Paul Sartre behauptet im Zuge seiner Existenzialismus-Philosophie: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.“ Freiheit gehört also im existenzialistischen Verständnis zum Mensch-Sein dazu und wird als ein Ausgangspunkt eines jeden menschlichen Individuums gesehen. Laut Sartres Definition müssten dann im übertragenen Sinne selbst Gefangene auf allen Ebenen frei sein; in ihren Gedanken, mit ihren Meinungen, in ihrem Glauben, in ihren Entscheidungen. Dieser spezielle Ansatz zum Freiheitsgedanken ist für einen Gefangenen in seiner Situation aber sicherlich schwer vorstellbar. Die existenzielle Freiheit oder eben genau Nicht-Freiheit zeigt sich demnach immer erst besonders in Ausnahmesituationen. Die Situation in der Gefangenschaft richtet den Blick auf die Freiheit, wie man sie sich als Außenstehender freier, privilegierter und handlungsfähiger Mensch gar nicht vorstellen kann. Der Alltag lässt einen vergessen, was es bedeutet frei zu sein, auch wenn wir doch täglich unbewusst nach einem selbstbestimmten, freien Leben streben