humanität

Ich fürchte, grad unter Menschen möchtest du, ein Mensch zu sein verlernen.

 

Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise


Von Mariama Madei

 

HUMANITÄT

Im Aufklärungsstück „Nathan der Weise“ skizziert Gotthold Ephraim Lessing 1779 die Wunschvorstellung einer friedlichen Koexistenz von Judentum, Christentum und Islam. Die Voraussetzung dafür sind aufgeklärte und tolerante Menschen. Doch die Realität sieht und sah leider oft anders aus. Seit dem Bestehen der Menschheit gibt es immer wieder Kriege, Unterdrückungen und Zerstörungen – nicht selten im Namen der Religion. Was genau meint Lessing also mit dem oben genannten Zitat? Er präsentiert in seinem Werk verschiedene religiöse Figuren, darunter einen Juden (Nathan), einen Christen (den Tempelherren) und einen Muslim (den Sultan). Diese Figuren stehen symbolisch für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Durch die Dialoge der drei Akteure will Lessing dem Leser die Gemeinsamkeiten der Religionen klarmachen. Ein zentraler Gedanke von Nathan der Weise ist, dass die äußerliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion nicht über den Wert eines Menschen oder seine moralische Integrität entscheiden sollte. Dies passiert in der Realität allerdings (zu) oft.  


Es gibt in Nathan der Weise eine Szene, in welcher der Sultan Nathan direkt nach der wahren Religion fragt. Was sehr provokativ ist, da beide einer jeweils anderen angehören. Doch Nathan begegnet dieser Herausforderung mit dem Erzählen der Ringparabel.

In der Ringparabel geht es um einen Ring, der die Fähigkeit besitzt, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm zu machen und der immer vom Vater an den liebsten Sohn vererbt wird. Nun tritt aber der Fall ein, dass ein Vater seine drei Söhne gleichermaßen liebt und deshalb jedem Sohn eine Nachbildung des Ringes vererbt. Die Söhne suchen einen Richter auf, der ihnen helfen soll, den richtigen Ring zu finden. Doch auch dieser kann ihnen nicht helfen. Sie werden es also nie erfahren. Damit will Nathan dem Sultan aufzeigen, dass alle Religionen, ähnlich den Ringen, gleichwertig sind und man nicht nach der einzigen Wahren gucken braucht. Er fordert vielmehr die Menschen und damit auch uns als Leser dazu auf, ihre Menschlichkeit nicht zu verlernen und nach Toleranz und Nächstenliebe zu streben, anstatt Kämpfe zu führen oder Machtansprüche zustellen. Denn „[Nathan]fürchte[t], grad unter Menschen möchtest du, ein Mensch zu sein verlernen.“3Mit diesem Zitat stellt er für mich indirekt die Frage, ob es in einer von Vorurteilen und Misstrauen geprägten Welt überhaupt noch möglich ist, Menschlichkeit und Mitgefühlaufrechtzuerhalten. Grade die zunehmende Intoleranz in der Gesellschaft gegenüber anders glaubenden, anders ausschauenden oder sich anders verhaltenden Menschen schürt doch Hass und Gewalt. Hat es diese Konflikte zwar schon immer gegeben, so hat man doch das Gefühl, dass die Intoleranz weiterhin einen großen Platz auf der Welt einnimmt, obwohl die Menschheit immer moderner, aufgeklärter und vernetzter wird,. Wie können wir davon weg und zu mehr Miteinander hinkommen? Wir wachsen alle mit unterschiedlichen Werten und sozialen Strukturen auf, was später im Leben den großen Unterschied in unserem Handeln und Denken macht. Deshalb ist schlicht unmöglich eine universelle Antwort auf die Frage zu haben, ab wann man im Sinne der Menschheit handelt. Handel ich zum Beispiel, die in Deutschland geboren wurde und mit westlichen Werten aufgewachsen ist, im Sinne der Menschheit, wenn ich toleriere, dass ein muslimischer Schüler seiner Lehrerin den Handschlag verweigert, weil es in seiner Kultur so gehandhabt wird…wenn ich toleriere, dass ein syrisches Mädchen bereits mit 14 Jahren verheiratet wird? Muss ich die AFD tolerieren und deren Ausfälle bei öffentlichen Auftritten, weil wir nun mal ein demokratischer Staat sind und diese von einem Teil der Bevölkerung gewählt wurden? Toleranz muss man immer wieder von neuem wollen und kann nur durch Austausch ,Verstehen und Zuhören stattfinden. Toleranz bedeutet nicht, dass alle um einen herumnach seinen eigenen Vorstellungen leben. Nathan sieht seine Mitmenschen nicht nur als Teil der Gesellschaft, sondern setzt sich mit den Meinungen und den Religionen anderer auseinander. Dadurch baut er Vorurteile ab und ein gutes zwischenmenschliches Verhältnis auf. Er versucht natürlich, die für ihn geltenden Prinzipien durchzusetzen, aber er will den anderen nicht überreden, sondern überzeugen. Nathan verwendet seinen eigenen Reichtum zusätzlich zum Wohl für andere Menschen. Hierbei stellt er die Menschen über die Güter, wie er am Beispiel seiner Ziehtochter Recha verdeutlicht. Auch in der heutigen Zeit sollte es darum gehen, seinen eigenen Reichtum nicht egoistisch anzusammeln, sondern in seiner Pflicht als Mensch in einer großen Gemeinschaft, für andere zu sorgen. Die Erziehungsziele (Toleranz, Akzeptanz, Nächstenliebe), die Lessing versucht mit seinem Drama zu vermitteln, müssen zu jeder Zeit in der Geschichte neu definiert werden und deswegen wird Lessings Drama für die nachfolgenden Generationen auch nie an Aktualität verlieren. Jede Gesellschaft braucht nämlich diese Grundvoraussetzungen menschlichen Zusammenlebens für ihr Bestehen. Werke wie „Nathan der Weise“ sind demnach nach wie vor wichtig und als Lehrinhalt essenziell, da Unwissenheit bis heute die größte Gefahr von Inakzeptanz und Intoleranz darstellt. Es wäre doch schön, wenn wir nicht „grad unter Menschen […] [verlernen], ein Mensch zu sein [...].