Sprache

Uns droht die Schönheit der Welt verloren zu gehen, wenn wir denken, unsere Sprache sei so, wie sie ist, fertig und vollkommen. Wenn wir meinen, sie sei formvollendet, nicht wandelbar. Wenn wir denken, sie würde tatsächlich alles erfassen.

 

(Kübra Gümüsay: unlearn Sprache. in: Silvie Horch (Hrsg.): Unlearn patriarchy, Berlin 2022, S. 18.


von Jana Hensler

 

SENSIBLE SPRACHE

 

Sprache sollte, nach der Überzeugung von Kübra Gümüsay, ein nie endender, sich immer weiterentwickelnder Prozess sein. Das gilt auch für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR). Diese ist in mehr als 500 Sprachen verfügbar und damit das meistübersetzte Dokument der Welt. Die 30 Artikel umfassende AEMR wurde 1948 von der UN-Generalversammlung in Paris verabschiedet und seitdem weder inhaltlich noch formal verändert oder erweitert. 75 Jahre später sieht sie sich also nicht nur die deutsche Sprache der Herausforderung einer Weiterentwicklung und der Forderung nach Anpassungen gegenüber. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nimmt das zum Anlass, eine „diskriminierungssensibel überarbeitete“ Version zu veröffentlichen. 


Der verwendete Begriff der ‚Rasse‘ wurde in der Kolonialzeit geprägt. Dieser geht von der Annahme unterschiedlicher Menschen-‚Rassen‘ und einem damit verbundenen Überlegenheitsanspruch Weißer gegenüber PoC (People of Color) aufgrund von biologischen Merkmalen aus. Auch Philosophen wie Immanuel Kant benutzten diesen, um den Herrschaftsanspruch der Weißen zu begründen und damit die Unterdrückung und Versklavung von Menschen in Afrika zu rechtfertigen. Es handelt sich bei diesem Begriff jedoch um eine reine Konstruktion. Es existieren keine unterschiedliche Menschen-‚Rassen‘! Trotzdem wird der Begriff weiterhin in Dokumenten, wie der AEMR und dem Deutschen Grundgesetz, verwendet. 2021 reichten zwei Bundestagsparteien einen Antrag zur Streichung des Begriffs ‚Rasse‘ im Diskriminierungsverbot[2] ein. Dieser fand sowohl Unterstützung als auch Kritik. Für eine Streichung spräche, dass dieser Begriff dazu beitrage, rassistisches Denken fortzuschreiben.[3] Andere Stimmen hingegen betrachteten die Verwendung in Verbindung mit dem Grundgesetz, jedoch von der historischen Bedeutung losgelöst und setzten sie in einen antidiskriminierenden Kontext. Die Aktivistin Noah Sow kritisiert diese Argumentation:[5] Sie weist daraufhin, dass Menschen, die sich nicht aktiv mit diesem Thema befassen, den Eindruck bekommen könnten, dass es tatsächlich unterschiedliche Menschen-‚Rassen‘ gäbe. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass der entsprechende Paragraf keinen Hinweis darauf enthält, dass keine ‚Rassen‘ existieren. Leser*innen können nicht direkt erkennen, dass diese Verwendung von seiner historischen Bedeutung losgelöst ist.

Die Problematik des Begriffs ‚Rasse‘ sollte deutlich geworden sein. Amnesty International ersetzte den Begriff, wie unter 1. und 2. zu sehen ist, durch andere Formulierungen. Damit wird garantiert, dass falsche Deutungen des Begriffs der ‚Rasse‘ ausbleiben und sich nicht weiter in den Sprachgebrauch einschreibt.

 

Die deutsche Sprache entwickelt sich immer weiter. Nur wenige befürchten wegen der Verwendung von Anglizismen einen ‚Verfall‘ der deutschen Sprache. Das Thema ‚Gendern‘ hingegen spaltet ein ganzes Land und sorgt für Diskussionen im Bundestag. Was ist das Ziel von gendern? Geschlecht ist ein Konstrukt. Anders als im Englischen, bei dem nur die Personalpronomen angepasst (she/he) oder ersetzt (they) werden müssen, basiert der Plural im Deutschen auf dem maskulinen Singular. Weibliche und nicht-binäre Menschen bleiben damit außen vor. Die Erwähnung von ‚Mann und Frau‘ in der Präambel unter 3. behält die Binarität der Geschlechter bei und schließt nicht-binäre Menschen aus. Gendern mit einem * (Gendersternchen) oder _ (Gendergap) soll, wie bei der überarbeiteten Version unter 4. und 5. sicherstellen, dass auch nicht-binäre Menschen gemeint sind und sichtbar gemacht werden. Der Begriff ‚seine‘ wird, wenn er sich nicht auf Mensch bezieht (7), entweder gestrichen (8), oder mit einem Artikel (9) und ‚eigene‘ (10) ersetzt und dadurch allgemeingültig. Durch die häufige Hinzufügung des Begriffes: Mensch (6) soll gewährleisten, dass die AEMR für alle gleichermaßen gilt.

 

1948 wurden Begriffe verwendet, die jetzt nicht mehr akzeptabel sind, und Geschlechter nicht berücksichtigt wurden, die nicht anerkannt waren, ist verständlich. Es war eine andere Zeit. ABER die AEMR ist nicht irgendein Dokument. Sie zielt darauf ab, allen Menschen zu gewährleisten, dass ihnen die gleichen Rechte zukommen. Um jenes umsetzen zu können, muss sie sich mit der Zeit und deren Erkenntnissen weiterentwickeln. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Menschen angesprochen sind und ihnen Schutz vor Diskriminierung gewährleistet werden kann. Wie das Eingangszitat treffend formuliert hat, geht uns ohne die Weiterentwicklung etwas verloren. Die AEMR muss ein dynamisches Dokument sein, das mit gutem Beispiel vorausgeht und versucht, ein Ideal zu erreichen. Andernfalls entwickelt sich die Menschheit immer weiter (hoffentlich zum Besseren), die AEMR hingegen bleibt unverändert und könnte eines Tages zu einem Relikt aus dem 20. Jahrhundert werden.

 


Hier geht's zu den 30 Artikeln der Menschenrechte in einer diskriminierungssensiblen Sprache.