Überwachung

Gesundheit ist ein Zustand des vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens – und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit.

 

Juli Zeh, Corpus Delicti


von Valentina Simovic

 

SELBSTBESTIMMUNG

 

Welche Maßnahmen darf ein Staat treffen, wenn es um die Sicherheit und das Wohlbefinden des eigenen Volkes geht? Ist die Gesundheit ein legitimer Grund, bestimmte Überwachungsmaßnahmen zu treffen? Corpus delicti – Ein Prozess von der Autorin Juli Zeh (2009) ist ein dystopischer Roman, der die Überwachung des Staates unter einem vermeintlich legitimen Grund in den Blick nimmt.

 

Es geht um die Hauptfigur Mia Holl, welche in einer Überwachungsgesellschaft lebt. Der Staat hat es sich zur Aufgabe gemacht, allen Menschen ein Leben ohne Viren und Bakterien zu bieten. Ebenso muss jeder einen gesunden Lebensstil pflegen, welcher durch gesetzliche Maßnahmen angeordnet und überwacht wird. Grund dafür ist die Gesundheit als oberstes Gebot. Um diese individuell zu gewährleisten, muss sichergestellt sein, dass auch jeder Einzelne gesund bleibt. Ob nun freiwillig oder unter Zwang. Diese Regelungen werden 'die Methode' genannt. Doch Mias Bruder, Moritz Holl, widersetzte sich dieser Methode. Nachdem er des Mordes und der Vergewaltigung an einer Frau schuldig gesprochen wurde, beging er Selbstmord. Diese Umstände bringen seine Schwester Mia Holl dazu, den Staat zu hinterfragen und ihre eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Sie wird mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert.

Im Roman wird das Recht auf Selbstbestimmung zugunsten der Gesundheit der Allgemeinheit eingeschränkt. Unter dem vermeintlichen Vorwand der Sicherheit wird das Recht auf Selbstbestimmung fast vollkommen aufgehoben. Des Weiteren wird die Illusion erschaffen, dass in dieser Dystopie ein gesellschaftliches Leben nicht anders möglich sei, als durch die komplette Kontrolle dieser Gesellschaft. 


Juli Zeh im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo über das Verhältnis von Freiheit und Gesundheit


In Artikel 22 der Menschenrechte heißt es:

 

„Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für die eigene Würde und die freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unentbehrlich sind.“

 

Der Staat muss die Möglichkeit bieten, einen gewissen Grad an Gesundheit verfügbar beziehungsweise möglich zu machen. Dieser darf allerdings nicht entscheiden, ob und wie dieser in Anspruch genommen wird. Lebenserhaltende Maßnahmen dürfen auf der Basis der Selbstbestimmung abgelehnt werden. Inwiefern Legitimationen zu Überwachungsmaßnahmen bestehen, muss im Einzelfall individuell entschieden werden.