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Tucholsky in Love

Es ist eine traurige Liebe zwischen Kurt Tucholsky und Mary Gerold. Sie lernen sich 1917 während des Ersten Weltkriegs in Lettland kennen. Kurt betreut in der Fliegerschule die Leihbibliothek, Mary ist Hilfsdienstfreiwillige für das deutsche Heer. Er verliebt sich auf den ersten Blick, sie zögert. Als sie sich auf ihn einlässt, wird er in Rumänien stationiert. Er heiratet eine andere, doch als sie sich zufällig wiedersehen, ist es um sie beide geschehen. Sie heiraten 1924, doch die Ehe ist schwierig. Mary trennt sich von ihrem Mann und sie sehen sich nie wieder. Er setzt sie dennoch als Alleinerbin ein. Sie kümmert sich nach seinem Tod um seinen literarischen Nachlass.    


Kurt Tucholsky an Mary Gerold, 1918

 

Und immer denselben, selben Gedanken. Ich wünschte, ich hätte Dich erst bei mir. Gar nicht romantisch denke ich mir das – ich wäre schon ausgeglichen und froh, wenn ich Dich im Nebenzimmer wüsste – es ist ja der Gedanke, zu fühlen, dass Du da bist. Ich sehe immer mehr, dass man allein nicht alles ist – es fehlt etwas. Man möchte sich doch tausend Dinge erzählen und man möchte (das habe ich so gern) nach roten Stürmen und wilden Stunden ganz still und ruhig die Hand fassen. Dann erst ist das Leben rund und voll. Und ich will mir ein blondes Haar durch die Finger gleiten lassen, man möchte das Haar über die Augen gelegt haben und schweigen. Und ich will ein kleines Herz klopfen höre – Wie lang kann eine Nacht sein und wie still ein blauer Morgen! Ich liebe Dich, Mätzchen, ich liebe Dich. – Und ich sehne mich so nach Dir. Und küsse Dich sieben Mal Dein alter Nungo


Gib mir mal die Fingerspitzen -! So. Und - - („Mach mir die Frisur nicht in Unordnung!“ Wupp. Weg.

Und es küsst Ihn nochmal ganz lange

 

Nungo

 


weitere Infos zu kurt Tucholsky

...findet ihr in einem ausführlichen Podcast auf Bayern 2 hier.


Tucholsky-Kostproben

Wir bleiben beim Thema Liebe, aber mit Satire!


Kurt Tucholsky: Der Mensch. Gelesen von Jürgen von der Lippe

Der Mensch

Unter dem Pseudonym Kaspar Hauser, aus der Weltbühne 24, vom 16.06.1931

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wens ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion. Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.
Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle.
Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie Kultur, Kunst und Wissenschaft. Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen geradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es gerade noch für möglich hält. Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht.
Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, dass er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.

Der Mensch zerfällt in zwei Teile:
In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am sichersten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab. Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frisst er hier und da auch Exemplare seiner eigenen Gattung; doch wird das durch den Faschismus wieder ausgeglichen. Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen hasst die anderen Klumpen, weil sie die anderen sind, und hasst die eigenen, weil sie die eigenen sind. Den letzteren Hass nennt man Patriotismus.
Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht. Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege.
Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Jeder Mensch ist sich selber unterlegen.
Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauren Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedene Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.
Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.
Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.
Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.